Pflanzenreste aus dem römischen
Vicus in Tawern
Ein Beitrag zu Landwirtschaft und Umwelt
Von Margarethe König
In den vergangenen Jahren ergab sich schon mehrfach Gelegenheit, an dieser Stelle über verkohlte römerzeitliche botanische Funde zu berichten. Nun bot kürzlich eine ,,Abfallgrube”, die möglicherweise ursprünglich als Brunnen diente, aus dem Vicus Tawern die seltenere Chance, insbesondere unverkohltes Pflanzenmaterial zu untersuchen. Die entnommene Probe barg eine reiche Palette von Pflanzenresten, die hier vorgestellt werden soll. Im Archäobotanischen Labor des Rheinischen Landesmuseums Trier erfuhr die Probe die übliche Behandlungsweise:
Schlämmen mit Hilfe von Sieben der Fraktionen 2,5, 1,0 und 0,25 mm und Überführen der unverkohlten Funde in eine Konservierungslösung, bestehend aus Alkohol, destilliertem Wasser und Glycerin zu gleichen Teilen; die wenigen verkohlten Relikte wurden getrocknet. Nach Aussage der Grabungsleiterin Dr. Sabine Faust werden die Funde in das 4. Jahrhundert n.Chr. datiert (Faust 1996).
Wie bereits erwähnt, blieben uns wenige Samen und Früchte in verkohltem Zustand erhalten. Dazu zählen die Vertreter von drei Getreidearten. Es handelt sich um nicht näher bestimmbare Gerstenkörner (Hordeum vulgare L.). um Saatweizen (Triticum aestivum L.), Ährchengabeln von Dinkel (Triticum spelta L.). Letztere liegen auch unverkohlt vor. Die Samen des Spitzwegerichs (Plantago lancolata L.) und diejenigen des Roten Wiesenklees oder Mittleren Klees (Trifolium pratense L. vel Trifolium medium L.) wurden durch Verkohlung konserviert.
Ungewöhnlich ist die Tatsache, daß einerseits Getreide und andererseits Wiesenpflanzen verkohlt vorhanden sind, obwohl die Arten nicht an einem Standort gemeinsam gewachsen sein können.
Außer den verkohlten Getreiden lassen sich weitere unverkohlte Vertreter von Nahrungspflanzen nachweisen. Es gelang für das Trierer Land in Tawern erstmals der Beleg von drei römerzeitlichen Gewürzpflanzen. Alle drei Arten gehören zu der Pflanzenfamilie der Doldengewächse (Apiaceae oder Umbelliferae), die auch heute noch bei der Zubereitung von Speisen verwendet werden (Abb. 1) Die Heimat des Korianders (Coriandrum sativum L.) ist das östliche Mittelmeergebiet (Hegi 1965). Während er im klassischen Griechenland keine hohe Wertschätzung erfuhr, war dies in der römischen ,,Haute Cuisine” offensichtlich anders. Apicius teilt ihn in über siebzig verschiedenen Rezepten mit (Küster 1987). Ebenso bekannt war die Heilwirkung von Koriander.
Den kugeligen Früchten wurde ein verdauungsfördernder, schleimlösender und Blähungen vertreibender Effekt zugeschrieben. Auch äußerliche Anwendung des Krautes bei verschiedenen Leiden war bekannt.
Darüber hinaus liegt mit Dill (Anethurn graveolens L.) eine weitere Gewürzpflanze vor. Nach Hegi befindet sich seine Heimat im Orient – wohl in Persien und Ost-Indien -, möglicherweise auch in den Kaukasusländern und in Ägypten. Ebenso wie die vorgenannte Art findet der Dill als Küchen- und Arzneipflanze Verwendung. Von überraschend frühen Dill-Funden berichtet Jacomet. In neolithischen Schichten von Seeufersiedlungen der Schweiz tritt Dill bereits um 3850 und 3600 v.Chr. auf. Bei der römischen Speisezubereitung dient Dill zum Würzen von Geflügel und Wein. Blüte, Kraut, das ätherische Öl und die reifen, getrockneten Früchte werden in der Heilkunde benutzt. Dort wird er zur Anregung der Funktion von Magen und Darm eingesetzt. Die Intensität seines Duftes sorgte für seine Bedeutung als Zauberpflanze. Eine Verwendung von Dill im Mittelalter Triers ist durch eine kürzliche Untersuchung belegt (König 1995).
Als drittes Gewürzkraut konnte Sellerie (Apium graveolens L.) bestimmt werden. Die natürlichen Standorte des Wilden Sellerie sind feuchte, salzhaltige Böden an den Meeresküsten und des Binnenlandes fast überall in Europa und in Asien, aber auch an der Mittelmeerküste Afrikas sowie in Südafrika (Körber-Grohne l987; Küster 1987). Sellerie, der heute hei uns vor allem als Knollengemüse bekannt ist hat eine ältere Geschichte als Gewürzpflanze. Bereits in der Zeit um Christi Geburt wird in Griechenland und Italien zwischen Wildem und Garten-Sellerie unterschieden. Beide fanden Verwendung als Arzneimittel. Bemerkenswert sind wiederum Belege aus den Pfahlbausiedlungen der Schweiz. Sie werden in die Zeit um 4000 v. Chr. datiert. Die Kultur der genannten Würzkräuter wurde vermutlich in Gärten betrieben. Alle drei genannten Gewürzpflanzen sind im archäobotanisch gut untersuchten Rheinland in römischer Zeit nachgewiesen (Knörzer 1970, 1981, 1987, 1989).
In der Artenliste tritt mit Möhre (Daucus carota L.) möglicherweise ein weiteres Nahrungsmittel auf. Leider ist an den Spaltfrüchten der Möhre nicht zu unterscheiden, ob sie von kultivierten oder wild wachsenden Pflanzen stammen. Die Wurzel der Wildformen ist spindelförmig, bei den Kulturformen fleischig verdickt ausgebildet. Auch hinsichtlich der Farbe unterscheiden sich die beiden. Während erstere weißlich ist, hat die zweite die bekannten Orangefarbtöne. Bereits im Altertum wird die Garten- von der Wildform unterschieden und erfreut sich schon damals großer Beliebtheit (Hegi 1965). Ihr mögliches Vorkommen als Wiesenpfianze, also in ihrer Wildform, wird weiter unten diskutiert.
Schalenfragmente der Haselnuß (Corylus avellana L.) stellen Belege der einzigen vorkommenden Nußart dar. Die etwas weicheren, in feuchtem Medium aber gut erhaltungfähigen Schalen von Walnuß (Juglans regia L.) wären zu erwarten gewesen, fehlen jedoch an dieser Fundstelle.
Fünf von den neun verschiedenen Obstresten sind den gesammelten Wildpflanzen zuzuordnen. Von Himbeere (Rubus idaeus L.) und wahrscheinlich Brombeere (Rubus cf. fruticosus L.) liegen Steinkerne vor. Es handelt sich dabei um Beerensträucher, deren Vorkommen an unterschiedlichen Standorten anzutreffen sind. Himbeere siedelt vor allem in Waldverlichtungen und in Staudenfluren der Auen oder der Gebirge, Brombeere tritt auf Schlägen, an Wald- und Wegrändern und im Gebüsch auf. Mit Schwarzem (Sambucus nigra L.) und Zwerg-Holunder (Sambucus ebulus L.) können zwei weitere Wildobstarten festgestellt werden. Über die Nutzungsmöglichkeiten dieser Holunderarten wurde bereits früher berichtet (König 1993). Der Schwarze Holunder findet seine Verbreitung in feuchten Wäldern, Hecken und an verschiedenen Plätzen in Siedlungsnähe. Der Zwergholunder tritt in Staudenfluren und Auen sowie in Waldverlichtungen auf. Beide Arten stellen sogenannte Stickstoffanzeiger dar. Wenige Fragmente von zwei Steinobstarten belegen deren Nutzung. Als weiteres Wildobst konnte wohl Schlehe (Prunus cf. spinosa L.) bestimmt werden. Darüber hinaus Ist mit wohl Süßkirsche (Primus cf. avium L.) eine andere Steinobstart festzustellen. Als Kernobstarten liegen Apfel (Malus spec.) und Birne (Pyrus spec.) vor. Ersterer wird durch seine Kerne repräsentiert, die Birne durch Kerne und Steinzellen. An Hand dieser Relikte ist es nicht möglich eine Entscheidung darüber zu treffen, ob wir von kultiviertem Obst sprechen dürfen. Lediglich für Apfel ist zu bemerken, daß einige wohl ausgebildete Kerne die Annahme einer Kultivierung zulassen. Von Weinrebe (Vitis vinifera L.) konnte ein gut geformter Kern geborgen werden. Auf der Grundlage eines Kernes läßt sich keine Aussage über seine Kultivierung machen, obgleich diese auf Grund archäobotanischer Ergebnisse vermutet werden muß (König 1995).
Zur Palette der Nahrungspflanzen läßt sich zusammenfassend sagen, daß sowohl die drei Gewürzpflanzen als auch die Kerne von Zwerg-Holunder, Apfel und Birne sowie die Steinzellen von Birne bisher nicht belegte römerzeitliche Pflanzenreste im Trierer Land bedeuten.
Bemerkenswert ist ebenso der Fund des Bilsenkrautes (Hyoscyamus niger L.). Seit dem Altertum besteht Kenntnis über seine Gift- aber auch über seine Heilwirkungen (Lenz 1966).
Ein großer Teil der bewahrten Pflanzenreste gehören nun der Wildkrautflora an (Abb. 2 und 3). An Hand ihrer ökologischen Zeigereigenschaften läßt sich feststellen, daß die repräsentierten Pflanzen von Standorten mit unterschiedlichen Lebensbedingungen stammen. Diese Tatsache impliziert die Frage, auf welche Weise sich diese ,,Arten-Gemeinschaft” bildete. Aber zunächst soll die Vielzahl der Arten den Standorten zugeordnet werden.
Wie bereits angedeutet, haben wir keine Kenntnis darüber, wie diese ,,Gemeinschaft von Pflanzenresten” entstand. Offensichtlich gelangten sie durch menschliche Aktivitäten von verschiedenen Plätzen an eine Stelle.
Ausgehend von heutigen Pflanzengesellschaften wird nun versucht, die Vielzahl der Arten zu bestimmten ,,Einheiten” zusammenzustellen. Dabei muß berücksichtigt werden, daß uns die Entwicklung der Vegetation nicht in ihrer Vollständigkeit bekannt ist. Seit der Anwesenheit der Menschen greift er in die Pflanzenwelt ein und induziert Veränderungen, deren Abläufe es zu erforschen gilt.
Mehrere Arten zählen zu den Hackfrucht-Unkräutern. Weißer Gänsefuß (Chenopodium album L.), Vogelmiere (Stellaria media (L) Vill.), Schwarzer Nachtschatten (Solanum nigrum L.), Pfirsichblättriger Knöterich (Polygonum persicaria L.), Vogel-Knöterich (Polygonum aviculare L.), Ruten-Melde (Atriplex patula L.) und die Gewöhnliche Gänsedistel (Sonchus oleraceus L.) traten wohl auf den Äckern des ,,römerzeitlichen Tawern” auf. Möglicherweise wurden Weißer Gänsefuß, Brennessel und Gewöhnliche Gänsedistel zu Nahrungszwecken genutzt. Bei Kuhkraut (Vaecaria hispanica (Mill.) Rausch.), Gelbem Hohlzahn (Galeopsis segetum Neck.), dem bereits erwähnten Bilsenkraut (Hyoscyamus niger L.), der Kleinen Brennessel (Urtica urens L.) und dem Stumpfblättrigen Ampfer (Rumex obtusifolius L.) handelt es sich um Pflanzen, die vor allem an Ruderalstellen ihre Verbreitung finden.
Hinweise auf vorhanden gewesene Verlichtungen, Gebüsch- oder Waldränder erhalten wir von Rainkohl (Lapsana communis L.), Dichtähriger Segge (Carex spicata Huds.) und wohl Lockerähriger Segge (Carex cf. divulsa Stokes).
Einen großen Anteil bilden nun Grünlandpflanzen. Dabei lassen sich diese Arten nach ihrem Vorkommen auf trocken bis frischen und frisch bis feuchten bzw. nassen Standorten unterscheiden. Diskutiert werden lediglich die artgenauen Nachweise.
Bei den Vertretern der trocken bis frischen Unterlagen fällt auf, daß sowohl Arten kalkreicher als auch kalkarmer Standorte auftreten. Ein Blick auf die Übersichtskarte der Bodentypen-Gesellschaften von Rheinland-Pfalz zeigt, daß sich um Tawern Böden auf Löß und Sand bildeten. Vorzugsweise auf Kalk tritt Gewöhnliches Bitterkraut (Picris hieracioides L.>, Tauben-Skabiose (Scabiosa columbaria L.) und Purgier-Lein (Linum catharticum L.) auf. Dagegen bevorzugen Gras Sternmiere (Stellaria graminea L.), Gewöhnliches Ferkelkraut (Hypochoeris radicata L.) und Herbst-Löwenzahn (Leontodon autumnalis L.) kalkarme Böden. Frühlings-Segge (Carex caryophyllea Latourr.), Wiesen-Bärenklau (Heracleum sphondyleum L.), Spitzwegerich (Plantago lanceolata L.), Wiesen-Flockenblurne (Centaurea jacea L.), Kleine Brunelle (Prunella vulgaris L.) und wohl Kümmel-Haarstrang (Peucedanum cf. carvifolia Vill.) gedeihen ebenfalls unter trocken bis frischen Bedingungen. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß das Vorkommen von Möhre (Daucus carota L.), die eingangs zu den Nahrungspflanzen geordnet wurde, auf diesen Standorten möglich ist. Spitzwegerich und Purgier-Lein hatten sicherlich als Heilpflanzen Bedeutung.
Weitere vierzehn Arten weisen auf insbesondere feuchte oder wechselfeuchte bis nasse Standorte hin. Bleiche Segge (Carex pallescens L.), wohl Blau Segge (Carex cf. flacca Schreb.), Rauhe Segge (Carex hirta L.), Zierliche Segge (Carex acuta L.), Gelbe Segge (Carex flava L.), Rispen-Segge (Carex paniculata L.), Hasen-Segge (Carex ovalis Good.), Schuppen-Segge (Carex lepidocarpa Tausch.) treten an oben bezeichneten Plätzen auf. Weiterhin konnten zwei Hahnenfußarten nachgewiesen werden. Kriechender Hahnenfuß (Ranunculus repens L.) und Zungen-Hahnenfuß (Ranunculus lingua L.). Krauser Ampfer (Rumex crispus L.) und Knäuel-Ampfer (Rumex cf. conglomeratus Murray) sowie Gewöhnliche Sumpfbinse (Eleocharis palustris (L.) R. et Sch.) und wohl Einspelzige Sumpfbinse (cf. Eleocharis uniglumis (Link) Schult.) sind auf feuchter bis nasser Unterlage anzutreffen. Es ist gut vorstellbar, daß die genannten Arten entlang eines Baches siedelten, wie er in der Nähe der römischen Siedlung auch heute noch fließt.
Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß im und um den Vicus Tawern intensiv Landwirtschaft und Gartenkultur betrieben wurde sowie das Sammeln von wild gewachsenen Nahrungspflanzen gebräuchlich war. Obgleich die nachgewiesenene Menge der Getreidearten nicht sehr umfangreich vorliegt, ist es doch naheliegend anzunehmen, daß sie im 4. lahrhundert n. Chr. die Getreidegrundlage darstellen. Bemerkenswert sind die Funde der drei Gewürzkräuter, die wohl in Gärten gezogen wurden. Die Kultur von Weinreben in der Nähe der Siedlung ist nicht von der Hand zu weisen, möglicherweise wurden weitere Obstarten wie Apfel, Birne, Kirsche, eventuell auch Him-, Brombeere und Holunder gefördert. Darüber hinaus belegen Hackfruchtunkräuter die Anwesenheit von Äckern und Gärten in der Nähe dem Vicus. Durchweg handelt es sich um Unkräuter nährstoffreicher Böden.
Ruderalpflanzen besiedeln die ,,ungenutzten” Stellen im Umfeld menschlicher Anwesen. Es handelt sich um Abfallstellen oder wenig betretene Stellen innerhalb einer Siedlung. Dort können sich diese Arten ungehindert ausbreiten, ja wurden wegen ihrer Schutzeinrichtungen, wie sie zum Beispiel bei Brennessel vorliegen, sogar gemieden. Einige wenige Arten haben ihren gemeinsamen Lebensraum auf Lichtungen und an halbschattigen Standorten. Diese waren an Gebüschzonen oder in Waldlagen anzutreffen und wahrscheinlich durch Mensch oder Tier in die Siedlung eingeschleppt.
Bei den Graslandpflanzen interessiert die Frage, in welcher Weise diese Flächen damals genutzt wurden. Mit Spitzwegerich haben wir einen zuverlässigen Zeiger für Wiesen und Weiden. Die Gemeine Brunelle gibt einen Hinweis auf Weidewirtschaft. Wie bereits in anderen rörnerzeitlichen Untersuchungen gezeigt (z.B. Knörzer 1981), wurden wohl auch in Tawern die Flächen zur Heugewinnung einmal pro Jahr gemäht und zeitweise als Weide genutzt. Letzteres stellt gleichzeitig einen Düngungseffekt dar. Die Pflanzenbestände der feuchten bis nassen Standorte werden ebenfalls als Heu- oder als Einstreulieferer benötigt. In diesem ,,verarbeiteten” Zustand gelangten die Vertreter dieser Pflanzengruppe in die Siedlung, wo offensichtlich die Tiere gehalten wurden. An Hand der Liste der Grünlandarten wird allerdings auch deutlich, daß der Heuertrag nicht sehr hoch gewesen sein kann. Denn einige Arten weisen nur einen mäßigen bzw. schlechten Futterwert auf (Wiesen-Bärenklau, Wiesen-Flockenblume), und darüber hinaus fehlen die wertvollen Futterpflanzen unserer heutigen Wiesen.
An Hand der vorgestellten Probe wird deutlich, daß ihre botanische Untersuchung einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Lebensweise der damaligen Bevölkerung und zur Umweltgeschichte liefert.